Zuerst befürwortete die deutsche Politik die Teilnahme von US-Hyperscalern bei GAIA-X. Kurz darauf hießen die Unternehmen in dessen Verwaltungsrat Palantir, den wohl umstrittensten Akteur in Big Data, als Mitglied willkommen. All dies trotz großer Bedenken von Datenschützern. Angesichts des gegenwärtigen Kurses stellt sich daher die grundsätzliche Frage, ob für Unternehmen digitale Souveränität und Datenschutz nach europäischem Standard noch erreicht werden können. Was bleibt von der ursprünglichen Zielsetzung von GAIA-X und welches Potenzial vermag das Projekt noch umzumünzen?
GAIA-X – Potenzial und Umsetzung
Das Projekt GAIA-X hat enormes Potenzial, sofern es ausgeschöpft und auf die Zukunft ausrichtet wird. Es bietet die Chance, von Grund auf Strukturen und Angebote zu schaffen, die den Unternehmen einen echten Mehrwert bieten. Dies gelänge umso mehr, wenn man über die reine Infrastruktur sogar hinausginge: Nicht nur das Heute in Form von Angeboten wie Software as a Service, sondern auch das Morgen mit KI und Quantencomputern können und sollten in der Planung und Gestaltung zum Tragen kommen. Das Projekt bietet schließlich die einmalige Gelegenheit, Europas Weichen in der IT in großem Maßstab auf die Zukunft zu stellen. Europäische Unternehmen dabei zu unterstützen, aktuelle Herausforderungen erfolgreich zu meistern, ist ein Schlüsselaspekt, den GAIA-X erfüllen muss. Sie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft gerüstet zu sein, ist ein weiterer.
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Um aus GAIA-X als einer europäischen Anstrengung all das herauszuholen, was möglich ist, ist es jedoch unabdingbar, dass sich deren Initiatoren und Entscheidungsträger darüber im Klaren sind:
- Was GAIA-X sein soll
- Welche konkreten Ziele das Projekt verfolgt
- Wie – und mit wem – diese erreicht werden können
Und dass sie dann auch entsprechend handeln.
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aus Politik und Wirtschaft.
Die Bedeutung von GAIA-X für den Hochtechnologiestandort Europa
Damit Europa den Anschluss in Forschung und auch (Aus-) Bildung nicht verliert, muss es Vorhaben wie GAIA-X geben, die auf europäischer Ebene mit multilateralem Engagement vorangetrieben werden. Freilich hat die Erfahrung bei EU-Projekten gezeigt, dass dieser Ansatz die Umsetzung in die Praxis nicht einfacher macht. Gleichwohl kann ein europäisches Projekt mit dem Anspruch von GAIA-X nur im Konsens und mit einer gemeinsamen Anstrengung zum Erfolg werden. Die bloße Existenz des Projekts begünstigt und fördert bereits weiteres Innovationspotenzial und ist unverzichtbar, wenn Europa als Hochtechnologiestandort gelten und bestehen will. Europa muss sicherstellen, dass das vollständig verwirklichte Projekt GAIA-X auch dem gerecht wird, als was es angekündigt worden war.
Für große und ehrgeizige Vorhaben wie GAIA-X ist es unbestreitbar wichtig, den ersten Schritt zu tun und sich auf den Weg zu machen. Gerade im Anfangsstadium des Projekts werden die Entscheidungsträger dabei nicht umhinkommen, manchen Kompromiss einzugehen. So ist es beispielsweise bekannt, dass in Europa vergleichsweise wenig IT-Hardware hergestellt wird. Es wäre daher Irrglaube, bei der Umsetzung von GAIA-X alles von Anfang an rein europäisch schaffen zu können, besonders innerhalb des geplanten Zeitrahmens.
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Langfristig gesehen kann GAIA-X sicherlich eine Rolle als Inkubator für den Standort Europa zukommen – für Software, aber auch für Hardware. Aufgrund der aktuellen Gegebenheiten ist es jedoch unvermeidlich, für manche Aspekte zumindest vorerst auch auf amerikanische oder asiatische Anbieter zurückgreifen zu müssen. Die entscheidende Frage ist, wie weit die Entscheidungsträger bei GAIA-X sich hierbei entschließen zu gehen.
Ambitionierter Anspruch trifft auf kalte Wirklichkeit
Als eine der Zielvorgaben für GAIA-X war ursprünglich verlautbart worden, dass ein digitales Ökosystem geschaffen werden solle, mit digitaler Souveränität und Datenschutz nach europäischen Standards. Genau diese Zielvorgabe gilt es deshalb auch als Maßstab an die wichtigen und wegweisenden Entscheidungen bei der praktischen Umsetzung des Projekts anzulegen. Gerade weil es im Aufbau von GAIA-X zunächst nötig ist, auf Bestehendes zurückzugreifen, muss eine bewusste und sorgfältige Abwägung stattfinden: Wie weit kann und soll man hierbei gehen und ab welchem Punkt läuft man Gefahr, dass die Zielsetzung des Projekts kompromittiert wird? In dieser Hinsicht ist die Implementierung von 5G und die Nutzung (oder Nichtnutzung) chinesischer Technologie beispielsweise sehr aufschlussreich.
Damit man am Ziel von GAIA-X auch ankommt, ist es nicht nur nötig, den ersten Schritt zu tun und sich auf den Weg zu machen – es muss auch die eingeschlagene Richtung stimmen. GAIA-X jedoch scheint, sofern man deren ursprünglich ausgegebene Ansprüche als Maßstab nimmt, bereits auf Abwege geraten zu sein:
- Die deutsche Bundesregierung nimmt es hin, darauf angewiesen zu sein, dass die Vereinigten Staaten die eigene Rechtsprechung ändern müssen, damit die Daten von EU-Bürgern in den USA wirklich nach geltendem EU-Recht geschützt werden. Sie bestärkt diesen Zustand aktiv dadurch, dass sie der amerikanischen Seite das Feld überlässt. Indem sie dafür ist, US Hyperscaler bei GAIA-X aufzunehmen, sendet die Bundesregierung das klare Signal, dass sie kein ernsthaftes Interesse daran hat, das grundlegende doch ungelöste rechtliche Problem zwischen der EU und den USA im Umgang mit Daten anzugehen.
- Die wirtschaftlichen Entscheidungsträger im Verwaltungsrat von GAIA-X nahmen ein Unternehmen an Bord, dessen Geschäftsmodell und/oder Geschäftspraktiken dem Grundgedanken von GAIA-X klar widersprechen. Somit wird die Chance unterminiert, dass Grundsätze wie Datenschutz und digitale Souveränität auch Wirklichkeit werden können.
Was bleibt von GAIA-X für europäische Unternehmen?
Europäische Firmen suchen nach Lösungen für drängende Herausforderungen wie jene, die aus dem Datentransfer in die USA erwachsen. Es gab große Hoffnungen für GAIA-X als eine passende Abhilfe und diese Hoffnungen wurden von den politischen und wirtschaftlichen Treibern des Projekts nicht nur entzündet, sondern auch befeuert. Deren jüngste Entschlüsse passen jedoch nicht zur Zielsetzung, welche sie für GAIA-X einst ausgegeben hatten. Es scheint somit vielmehr, als ob sie nun der Grund dafür sind, dass dieses europäische Zukunftsprojekt hinter manchen seiner zentralen Ansprüche zurückbleiben könnte. Unternehmen werden daher aller Voraussicht nach Abstriche bei ihren Erwartungen an GAIA-X machen müssen, zumindest was Kontrolle über ihre Daten und Compliance mit europäischen Datenschutzbestimmungen anbelangt.
Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, beschrieb GAIA-X als "Schlüsselprojekt für eine souveräne und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur". Echte digitale Souveränität und Datensouveränität sehen jedoch anders aus, als es GAIA-X derzeit erwarten lässt. Um nicht weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren, muss dringend eine Kurskorrektur vorgenommen werden – oder das Projekt bedarf einer nachträglichen Umdeklarierung seiner eigentlichen Ziele.
Unternehmer oder Verantwortliche für Datenschutz und IT-Sicherheit müssen sich daher nun die Frage stellen:- Welchen Mehrwert bringt GAIA-X nun für Unternehmen, die sich effektiven Datenschutz wünschen und mehr Kontrolle über ihre Daten haben möchten?
Was die jüngeren Entwicklungen bezüglich GAIA-X für den Datenschutz und digitale Souveränität Ihres Unternehmens bedeuten, erfahren Sie im nächsten Blogbeitrag.